Interview von Bildung Schweiz mit Ueli Gerber
Die Welt wandelt sich stetig. Organisationen müssen sich darum anpassen. Vier von fünf Veränderungsprozesse scheitern jedoch. Wer welche Fehler macht und welche Rolle das Change Management dabei spielt, erzählt ein Experte im Interview.
Bildung-Schweiz.ch: Change Management - ein omnipräsenter Begriff, doch was ist mit Change in diesem Kontext genau gemeint ?
Ueli Gerber*: Vereinfacht ausgedrückt meint er eine Veränderung, mit der sich eine Organisation konfrontiert sieht. Beispiele hierfür sind Fusionierungen, Massenentlassungen, Führungsgrundsätze entwickeln und implementieren, neue Ausrichtung der Strategie, neues Computer-System einführen, neue Verkaufsstrategie, Verschlankung der internen Prozesse, Restrukturierung usw. Das Change Management umfasst demnach sämtliche Tätigkeiten, die eine solche Veränderung realisieren und die Mitarbeitenden durch die sieben Phasen führen.
Welches sind die sieben Phasen?
Phase Vorahnung: Eine Veränderung bahnt sich an. Es treten körperliche Symptome auf wie Unruhe oder Unausgeglichenheit. Das Allgemeinbefinden ist nicht gut. Der Mitarbeiter fragt sich, wie es weitergehen soll.
Phase Schock: Eine schwerwiegende Botschaft verursacht Orientierungslosigkeit und Fassungslosigkeit. Angst breitet sich aus bis hin zur Identitätskrise. Ein Zustand von Erregung oder Erstarrung tritt ein. Dieser ist leicht zu missdeuten als „Gefasst- Sein“ oder „Gleichgültigkeit“.
Phase Ärger-Abwehr: Die Tatsache der Veränderung wird nicht akzeptiert. Hoffnung keimt auf. Kräfte werden mobilisiert, um zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, so wie es ist.
Phase rationale Akzeptanz-Frustration: Das Aufbäumen hat nichts genützt. Die Änderung ist unabwendbar. Gleichzeitig entstehen Zweifel an den eigenen Fähigkeiten: Schaff ich das? Das Motto: Wenn schon Veränderung, dann aber auch sofort. Augen zu und durch!
Phase emotionale Akzeptanz-Trauer: Die Erkenntnis: Es gibt keinen Weg zurück. Das Tal der Tränen wird durchlaufen. Jetzt braucht es Zeit und Raum zur Würdigung der vertrauten Verhältnisse und zum Abschiednehmen des „Alten“.
Phase Öffnung-Neugierde: Die Energie richtet sich auf etwas Neues. Der Blick geht nach vorn. Die Gedanken kreisen um die Zukunft und um neue Ziele.
Phase Integration vom Neuem: Die positive Erfahrung im Umgang mit dem Change schafft Selbstvertrauen. Die Wahlmöglichkeiten der neuen Situation werden erkannt und erhöhen die Motivation. Die allgemeine Stimmungslage und das Selbstwertgefühl steigen.
Wann ist Change Management für eine Organisation unabdingbar?
Wenn es um tiefgreifende und bereichsübergreifende Veränderungen geht. Jedes Unternehmen unterliegt ständig externen Veränderungen, die in regelmässigen Abständen und kontinuierlich interne Anpassungen nach sich ziehen müssen, um den Erfolg zu sichern. Beispiele dafür sind technologische oder ökologische Veränderungen, Kundenwünsche, Globalisierung von Märkten, neue gesetzliche Auflagen usw.
Ein Change ist also nichts Seltenes und kann jedes Unternehmen betreffen?
Genau. Bereits zahlreiche Philosophen wussten: „Das einzig Stetige ist der Wandel.“ Schon Heraklit von Ephesos machte dieses Konzept mit dem Ausspruch „alles fließt“ um 500 vor unserer Zeitrechnung populär. Heute spricht man auch vom „continuous improvement“.
Auf welchen Erkenntnissen beruht das Change Management?
Sein Ursprung geht auf die Organisationsentwicklung in den USA der dreissiger Jahre zurück. Die Wissenschaftler Roethlisberger und Mayo führten im Rahmen von Forschungen zur Leistungssteigerung Experimente in den Werken der Western Electric durch. Sie entdeckten, dass die beobachtete Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden stärker von der ihnen entgegengebrachten Aufmerksamkeit durch die Führungsetagen beeinflusst wurde als durch Änderungen der Arbeitsbedingungen.
Das heisst, Miteinbezug motiviert Mitarbeitende beispielsweise eher als mehr Gehalt?
Exakt. Dieses Wissen ist zentral für das Change Management.
Inwiefern?
Eine Veränderung wird meistens von der Geschäftsleitung initialisiert. Die meisten Mitarbeiter empfinden ein Gefühl der Abhängigkeit. Dieses Gefühl kann die Geschäftsleitung den Mitarbeitenden nehmen, wenn sie die Arbeitnehmenden nach dem Entscheid ins Boot holt und gemeinsam die Umsetzung bespricht. Menschen haben ein biologisches Bedürfnis, sie möchten mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden.
Wie nehmen Mitarbeitende Veränderungen auf?
Die Veränderungsbereitschaft ist bei den Menschen sehr unterschiedlich. Sogenannte Cheerleaders sind einfacher für die Veränderung zu begeistern als die Skeptiker und die Rationalisten. Skeptiker brauchen gute Argumente und wollen den Sinn der Veränderung verstehen. Erst dann sind sie bereit, sich der Veränderung anzunehmen. Dann gibt es noch Spätzünder oder Zauderer. Ihre Veränderungsbereitschaft ist niedrig. Mit viel Überzeugungskraft und Verständnis überzeugt man auch sie vom Wandel. Am niedrigsten ist die Veränderungsbereitschaft bei den Verweigerern. Von diesen Menschen muss man sich in der Regel trennen.
Spielt die Organisationsgrösse eine Rolle bei der Art, wie Veränderungsprozesse angegangen werden?
Ob ich 50 oder 500 Mitarbeitende durch den Change zu führen habe, hat einen grossen Einfluss darauf, wie ich das Projekt vorbereite.
Wo liegt der Unterschied?
Der grösste Unterschied liegt in der Professionalität, wie ich ein Change vorbereite. 500 Mitarbeiter durch eine Veränderung zu führen, geht sicherlich länger, ist komplexer und braucht eine stufengerechte Kommunikation als dies bei 50 Mitarbeiter der Fall ist.
Welche Fehler werden von wem in Veränderungsprozessen häufig gemacht?
Die meisten Fehler werden auf den Führungsebenen gemacht. Diese umfassen unzureichendes Engagement, fehlende Erfahrung im Umgang mit Verunsicherung der betroffenen Mitarbeiter, unklare Zielbilder und Visionen der Veränderungsprozesse, Uneinigkeit, mangelnde Unterstützung aus Linienmanagement usw.
Wie sollte ein Veränderungsprozess idealtypisch ablaufen?
Die Vorbereitung ist das Fundament des Veränderungsprozesses. Es ist wichtig, zuerst zu analysieren, wo man sich gerade befindet und erst dann einen Veränderungsprozess zu starten. Danach sollte man allen Betroffenen die Möglichkeit geben, sich Klarheit darüber zu verschaffen, weshalb die Veränderung sein muss und warum es so schnell sein muss. Auch die Definition einer Vision und Botschaften sind sinnvoll. Darauf folgen die Festlegung einer Projektleitung und das Zusammenstellen des Teams. Äusserst wichtig ist, die Betroffenen in das Projekt zu integrieren.
Welche Auswirkungen kann ein gescheiterter Veränderungsprozess auf die Organisation haben?
Das kann ein Unternehmen sehr viel Geld oder Image kosten. Im Extremfall kann er sogar den Konkurs bedeuten. Diverse Untersuchungen zeigen, dass 80% der Change-Projekte scheitern. Wenn es einer Organisation nicht gelingt, die Mitarbeitenden ins Boot zu holen und gemeinsam in Richtung neue Zukunft zu rudern, kommt es zu Blockaden, Energieverlusten und Kündigungen. Als erstes gehen nämlich die guten Mitarbeitenden. Zurück bleiben diejenigen, die aus Gründen wie Alter, Bequemlichkeit oder Angst bleiben. Das Resultat ist Produktivitätsverlust, Resignation und innerliche Kündigung.
Welche Auswirkungen kann im Gegenzug ein gelungener Veränderungsprozess haben?
Dass die Menschen schneller durch die verschiedenen Phasen der Veränderung kommen. Die Menschen öffnen sich schneller fürs Neue, werden neugierig und gehen mit mehr Selbstvertrauen in die Zukunft. Sie blühen auf; das hat wiederum positiven Einfluss auf die Produktivität, den Gewinn, das Image.
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